Wednesday, May 30, 2007

Die vegetative Krise

Seit etwa zwei Tagen fühle ich mich etwas angegriffen. Obgleich die Tage vorsommerlich warm und hell sind, fröstelt es mich, wenn es einnachtet. So geht das erste Mai-Wochenende vorüber und es wird Montag, ein denkwürdiger Tag. Gegen Mittag halte ich noch etwas PC-Kurs in der Nachbarschaft. Es ist eher muffig im Zimmer. Ich konzentriere mich auf den Bildschirm, atme kaum. Plötzlich beginnt dieser zu schwimmen. Mir wird schwindlig. Ich versuche, diesen mir nicht ganz unbekannten Zustand zu vertuschen, indem ich die Maus dem Schüler überlasse, er möge es jetzt noch selber probieren (wir waren gerade am Aufdatieren einer Webseite) und ob man das Fenster neben mir etwas öffnen können. Das hilft nicht viel. Ein heftiger Schwindel hält mich im Griff. Denken kann ich wohl, und mich bewegen auch, aber es wogt und dreht sich um mich her. Ich sage, dass ich den Kurs abbrechen möchte, mir sei nicht wohl. Unsicher, jedoch noch kontrolliert, stehe ich auf, gehe zur Wohnungstür und steige drei Stockwerke auf die Strasse hinunter. Dort lasse ich mich in meinen Autositz fallen, der Wagen ist nicht weit weg parkiert. Ich fahre die Fenster hinunter und verharre einige Minuten halb liegend im Polster. Einige Kinder eilen nach Hause und betrachten mich verdutzt im Vorübergehen. Zum Glück sind es nur zwei Strassen bis ins Büro zurück. Dies schaffe ich noch mit langsamster Fahrt. Im Büro überrasche ich meine liebe Frau mit der Bemerkung, mir gehe es gar nicht gut.

Erschrocken eilt sie mir entgegen und geleitet mich in die hinteren Räume, wo ich mich auf das Bett werfe, um «abzuwettern». Aber die schweren Wetter in meinem Körper hören nicht auf, es saust und braust im Gehör, die Decke wogt hin und wieder über das ganze Gesichtsfeld und ohne erkennbare Gesetzmässigkeit. Derartige Schwächeanfälle sind mir und meiner Frau nicht ganz unbekannt, wenn auch nicht in dieser Wucht. Deshalb greift sie wohl nicht gleich zum Telefon, wir hoffen beide, dass es mit einem feuchten Lappen auf der Stirn und mit frischer Luft rasch bessert. Als mich nach einer halben Stunde aber noch heftige Übelkeit sowie Licht- und Geräuschempfindlichkeit überfallen, kriegen wir es mit der Angst zu tun, und sie telefoniert dem Hausarzt, der in nur wenigen Minuten zur Stelle ist. Durch Betastung und mit dem Stethoskop stellt er in wenigen Minuten die Diagnose: Schwere Aortenstenose, also eine Verengung der letzten Herzklappe, die das arterielle Blut in die mächtige Körperschlagader entlässt. Der Hausarzt bestellt eine Ambulanz, und wir einigen uns auf eine Notfalleinweisung ins Herzzentrum des nahen städtischen Spitals. Ich bin immer noch fähig, mitzudenken und Entscheidungen zu treffen, bin wach und realisiere genau, was vorgeht, in mir und um mich her.

Die Ambulanz lässt nicht lange auf sich warten. Der Hausarzt nützt die Zeit, um am linken Unterarm eine Infusion zu legen. Diese wird benötigt, um jederzeit Medikamente in die Vene einbringen zu können, ohne den Körper jedes Mal neu anstechen zu müssen. Der Brechreiz ist inzwischen ultimativ stark. Gerade rechtzeitig wird mir eine Schüssel gereicht. Heftig übergebe ich mich, kann die Schüssel zum Glück noch richtig halten und ordentlich zurückgeben. Das Bett ist sauber geblieben. Das erste Medikament in der Infusion ist ein Antibrechmittel. Es wirkt genau so lang, wie die Fahrt in der Ambulanz dauert. Meine Frau nimmt vorne Platz. Die Beifahrerin setzt sich hinten zu mir und löchert mich mit Fragen, eine ganze Anamnese, mit der sie mich in der Notfallaufnahme überstellen muss. Diese weiss vom Hausarzt schon telefonisch Bescheid über den neuen Herznotfall-Eintritt. Der Abschied vom Krankenwagen quittiere ich mit einem abermaligen heftigen Erbrechen, selbstkontrolliert hygienebewusst in Säcke, so schlimm wird es also noch nicht stehen mit mir. Die Crew dankt es mir mit einem freundlichen «gute Besserung». Auf der Bahre rattern sie mich in die Intensivüberwachung, wo ich zwischen vier Gardinen mit allerhand Überwachungsgerät kontaktiert werde, nicht ohne mich vorher zu entkleiden. Alles persönlich geht in einen grossen blauen Sack. Ich muss das Spitalnachthemd anziehen, dass hinten offen ist und in welchem man den letzten Rest von Widerstand verliert gegen die unabänderliche Tatsache, dass man schwer krank ist - und eine Nummer, wie ich befürchte.

Doch ich habe von nun an dieses öffentliche Spital etwas genauer kennen gelernt. Soviel vorweg: Mein negatives Vorurteil wich in kurzer Zeit einem dankbaren Erstaunen darüber, wie professionell und menschlich warm es hier zugeht. Das ist ein guter Anfang in dieser Anstalt, die mir das Weiterleben ermöglichen soll. Einmal ganz auf mich selbst bezogen, abgeschnitten von meinen Pflichten, Sorgen und Mühen als «Problemlösungsmaschine» für andere, dämmere ich in meinen vier Gardinen vor mich hin, umstellt vor rhythmisch piepsenden, unablässig zeichnenden Monitoren, am Oberarm umklammert von einer automatischen Blutdruckmanschette.

Es drängen sich allerlei Geschichten an mein Ohr: Drüben jammert ein Methadon-Abhängiger, der unbedingt wieder auf die Gasse möchte. Sein Freund stand ebenfalls in der Koje und beteuert der Ärztin, dass er für seinen abhängigen Kumpan gut sorgen werde. Die Ärztin gibt skeptisch zu bedenken: «Dann werden Sie spätestens in zwei Tagen wieder hier landen.»
Neben mir, durch den Vorhang getrennt, liegt eine ältere Frau und stöhnt, hat heftige Schmerzen. Von Tuberkulose ist die Rede, von Isolierstation. Es wird ihr eine Gesichtsmaske verpasst – damit sie uns nicht ansteckt? Arme Frau, die nun durch die Maske stöhnen muss und nun noch das Gefühl erleiden muss, zu ersticken.

Ich bin ein leichter Fall, denke ich zumindest pflegeleicht. Ich kann es noch immer nicht fassen, dass ich schwer herzkrank sein soll, hatte nie Engegefühle oder Atemnot, nie Schmerzen in der Brust, nie einen Infarkt – selten nur diese vegetativen Krisen der beschriebenen Art, höchstens einige Minuten Unpässlichkeit, keine Synkopen, wo man die Selbstkontrolle augenblicklich verliert. Mit dem Auto konnte ich immer kontrolliert anhalten, wenn ich eine Schwäche kommen spürte, in Tunnels hielt ich immer tapfer durch, begann aber solche Fahrten, zumal bei schwerem Berufsverkehr auf Autobahnen, wo es keine Ausweichmöglichkeiten gab, zu meiden. Ich zog wenn möglich eine Passfahrt vor oder nahm den Zug. – Endlich löschte man in meinem Zelt das blendende Deckenlicht, und ich döste ein.

2 comments:

Aurelia said...

Liebe Vati

Ich bewundere dich echt. Wie nüchtern du us em Nähkästli über diis Herzproblem chasch rede. Aber ich dänke, dass das für dich ä gueti "Therapie" isch und dier die gröbscht Angst vor dä Operation nimmt. Ich lis sehr gern diini Text. Sie sind so verbildlicht und es wierd eim nid langwiilig. Mer chans sich richtig vorstelle wie du i dere Notfallstation gläge bisch und alles um dich ume i dich iigsoge häsch. So blöd dass es tönt: Ich dänke gern a miini Ziite im Spital zrugg. Han nur gueti Erfahrige döt gmacht und mich echt wie dä Hei gfühlt. Klar isch es dä Hei immer no am schönschte, aber wänn du 24h lang umsorgt wiersch, gwöhnt mer sich gschnell a dä Luxus.
Ich glaube fescht, dass du eini vo diine schönschte Ziite wiersch erläbe i dene 4 Wuche, wo no vor dier häsch. Vorallem bisch du en absolut wissensgiirige und interssierte Mensch, mit dems d'Ärzt sicher nid immer werdet eifach ha. Du wiersch sie garantiert mit Frage löchere. Wie du das scho s'letscht Mal gmacht häsch. Däfür chasch euis dänn wiider jeglichi News wiitergeh. Weisch ich bewundere dich. Obowhl du so ä riise Angscht vor dere Narkose und OP häsch, nimmsch es du als diis Schicksal und mit absoluter Coolness. Ich chan mier kein bessere Vater vorstelle und will dier eifach säge, dass ich immer für dich wierd da sii, egal was chunnt. Diini Aurelia

Aurelia said...

Ich muen no afüege, dass dä "Luxus" nur so lang schön isch, wänn mer weiss, dass mer wiider Hei chan und gsund wierd. Ich glaube chum, dass ä Person, wo immer wiider is Spital id Behandlig muen, so dänkt wie ich. Big hug Aurelia