Thursday, November 8, 2007

Rehaklinik Zauberberg - Schluss




Stuhl und Bett gehören zu den massgebenden Requisiten in jedem Kurhotel. So wurden die Liegestühle auf den Balkonen des Zauberbergs zum Gegenstand Thomas Manns epischer Betrachtungen: Hans Castorp erinnerte sich nicht, dass ihm je ein so angenehmer Liegestuhl vorgekommen sei. Die unangenehmen Empfindungen des Krankseins wurden aufgewogen durch die grosse Bequemlichkeit seiner Lage, die schwer zu zergliedernden und fast geheimnisvollen Eigenschaften dieses Liegestuhles. Es lag er an der Beschaffenheit der Polster, der richtigen Neigung der Rückenlehne, der passenden Höhe und Breite der Armstützen oder auch nur an der zweckmässigen Konsistenz der Nackenrolle, genug, es konnte für das Wohlsein ruhender Glieder überhaupt nicht humaner gesorgt sein als durch diesen vorzüglichen – das Adjektiv wird elfmal wiederholt – Liegestuhl. In dieser Hinsicht hat die auf Körperbewegung bedachte moderne Klinik nichts ebenbürtiges entgegenzustellen. Wenn ich an die Stühle denke, im Vortragssaal etwa, oder im Fernsehzimmer, dann wird es mir jetzt noch schwindlig. Sie bieten den Herzkranken, zu Schwäche neigenden Gästen keinen Halt. Die aufrechte Sitzposition muss in Ihnen stets neu erkämpft werden, was vor den unsäglich flimmernden TV-Geräten angehen mag, da man sowieso nicht lange hinschaut. Aber dem einstündigen Vortrage würde man gerne folgen und kann es nicht, da man, wenn der Rückentonus nachlässt, ständig befürchtet, über die nach vorn abfallende Seitenlehnen im nächsten Augenblick zu Boden zu rutschen. Einen gewissen Komfort bieten die Betten mit einer zweifach motorischen Rücken- und Beinhochlagerung, dies im Stockwerk für neueintretende Frischoperierte. Diese rücken bei normaler Genesung in der zweiten Woche in die höheren Stockwerke hinauf, wo die Betten immerhin noch einfach motorisch den Rücken stützen.

Indessen stützen sich die heutigen Wanderer mit abgemessenen Titan- oder Carbonstöcken ganz famos. Nordic Walking heisst die trendige Gangart. Sie verbindet die Bodenhaftung von Vierbeinern mit dem aufrechten Gang von Homo sapiens, insofern die Arme mitgehen, mitragen, mitschieben, und, indem sie die Beine entlasten, ebenso wie diese mittrainiert werden. Eine massvolle Bewegungsqual scheint der genussvollen Liegekur weit überlegen, was den Heileffekt anbetrifft. Die Kur darf heute nicht zu kurz sein, aber vor allem auch nicht zu lang. Die Versicherungen verlangen es; wer sich mit ihrer Hilfe im Sauseschritt in den Arbeitsprozess wieder eingliedern lässt, wird in einer Langlimousine in die Fabrik gefahren und schwebt dort wie ein Star unter Applaus zum seinem produktiven Arbeitsplatz –wenigstens die Versicherungswerbung sieht es so. Vielleicht ist das ja gut so, schliesslich leben wir heute auch tatsächlich viel länger und können das Leben auch mehr geniessen... bis zur nächsten Operation, die dann vielleicht den Leistenbrüchen oder der Prostatavergrösserung gewidmet ist. Und in 15 oder 20 Jahren ist auch die Klappe wieder fällig. –

«Spätestens dann sehen wir uns wieder», mit diesen Worten hat mich mein verehrter Herzoperateur verabschiedet. «Bis dann wird die Heilkunst wieder gewaltige Fortschritte gemacht haben», beschwichtigte er mich, es wird dann Zuchtklappen aus den eigenen Stammzellen geben. Und diese werden ohne grosse Narkose über die Beinarterie katheterimplantiert. Dem Zauberthal wird die bewegungslustige Klientel nicht so rasch ausgehen, im Gegensatz zum Zauberberg, der geschlossen werden musste, als man die Antibiotika erfand.
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