Tuesday, June 12, 2007

Der Patient als Arzt

Die Abberufung «meines» Chirurgen führte zu einer unverhofften Wartezeit, in welcher ich zwar von den Kardiologen verabschiedet wurde, mit eindeutiger Empfehlung mich jetzt operieren zu lassen, während die Chirurgen nichts von sich hören liessen. Eine gefährliche Zeit für einen schwer herzkranken Fall! Bin ich das aber wirklich? Gibt es einen Weg, dass der Kelch dieser grossen Herzoperation an mir vorüber geht? Zwar vermeide ich nun grosse Anstrengungen, lasse mich von meinen Angehörigen wenn nötig herumkutschieren, bewältige aber in Ruhe meinen alltäglichen Beruf mit umso grösserer Sorgfalt. Dank perfekter Fernwartungsmöglichkeit über das schnelle Internet kann ich viele Operationen an kranken Computern von meinem Schreibtisch aus erledigen.

Die Nachricht von der bevorstehenden Herzoperation zieht ihre Kreise und bringt mir unerwartetes Mitgefühl. Dass so viele Leute, auch solche, von denen ich es kaum erwartet hätte, an mich denken wollen, ja für mich beten, rührt mich sehr. Schwindelgefühle, die ich früher als eine vegetative Dystonie banalisierte, muss ich jetzt als das prominente Merkmal meiner Herzklappenschwäche deuten. Gerade heute überfiel mich nach dem Frühstück eine solche Schwäche. Wir haben uns eine professionelle Blutdruckmanschette zugelegt, und ich messe einen oberen Blutdruck von nur 85. Nach Kaffee und Honigbrot ist dies eindeutig zu wenig. Das Herz schaufelt zwar mit über 70 Systolen pro Minute, aber die Klappe leckt hochgradig und kann deshalb dem Gefässwiderstand nicht genügend Herzzeitvolumen entgegensetzen. Diese Vorstellung ist nicht aufbauend. Sie stärkt aber meine Einsicht in die Notwendigkeit dieser Operation.

Meine Blog-Leser erinnern sich, dass mich die Zweitmeinung durch meinen herzkundigen Hausarzt entscheidend motivierte, mich weiteren kardiologischen Tests zu unterziehen. In dieser Wartezeit komme ich zu einer unerwarteten professionellen Drittmeinung. Sie stammt ebenfalls von einem Hausarzt der Schulmedizin, einem älteren, erfahrenen Vertreter dieses Berufes, dem ich die Kardiologie meiner Herzklappe darlege. Da ich weiss, dass der Fachmann unkonventionelle Behandlungswege geht und eigene Auffassungen vertritt, solche einer naturnahen Medizin, fragte ich ihn, ob er einen Weg sieht, ohne Operation aus dem Problem herauszufinden. Ja, sagt er, sie müssen aber ihre Einstellung radikal ändern. Ich erzähle ihm, dass ich alles wissen wolle, was die Kardiologie und die grosse Herzoperation betrifft und dass ich schon jede Menge dazugelernt habe und dass mir dies helfe, die Angst abzubauen. Das ist das Verkehrteste, was Sie in Ihrer Situation tun können, versetzte er. Sie müssen in Ihrer Lage alles tun, um sich mit geistigen Heilkräften zu verbünden. Rasch kommen wir zur Rolle des Gebets, dem er offenbar zutraut, auch eine kalzifizierte, in ihrer Funktion schwer eingeschränkte Herzklappe zu heilen. Er meint, nicht die Gebetsmühle schaffe dies, aber ein inbrünstiger, persönlicher, energischer Rapport mit der Macht, die im Kern eines jeden Lebens stecke, die den Grund der ganzen Natur durchwirke, die das Leben selbst sei, könne dies schon richten.

Dem setze ich entgegen, dass ich aus der Kirche ausgetreten sei, weil ich die Ignoranz und die Unwahrheiten vieler ihrer Vertreter nicht länger ertragen habe. Meine Religion sei die Naturwissenschaft, um deren Grenzen ich freilich wisse. Einer Art Pantheismus sei ich nicht abhold, und ich wisse insbesondere, dass das Gefühl[i] und das Bewusstsein, das alles Leben durchwirke und leite, naturwissenschaftlich nicht erklärt sei. Dabei erfahre ich, dass er nicht als Vertreter einer bestimmten Glaubensrichtung argumentiert, sondern als Arzt, der schon manche spontane Heilung aus dem Geist erlebt habe. Der Geist sei doch in allen Dingen, in meinem Fall freilich bleibe nicht mehr viel Zeit. Etwas kleinlaut frage ich zurück, was ich denn noch tun könne vor einer allfälligen Operation, um die Kardiologen von einer spontanen Besserung der Klappenfunktion zu überzeugen. Der intelligente Arzt ringt um Antworten, er weiss, dass er mich nicht mit frommen Sprüchen abspeisen kann, und wir müssen lachen, trotz oder gerade wegen des Ernstes dieser Unterhaltung. Aber er lässt nicht von seinem Standpunkt ab, dass eine geistige Operation auch in meinem Falle möglich wäre. Offenbar denkt auch er, dass das Risiko einer grossen Herzoperation ein hoher Preis ist, der ans Lebendige und an den Rest meines Lebens geht. So geht die Rede hin und wider, bereits klopft der nächste Patient an seine Tür. Als ich noch einmal nachhake, was ich seiner Meinung nach nun konkret tun solle, empfiehlt er mir, ein Bild von Bruno Gröning unter das Kopfkissen zu legen. Dieser grosse Heiler ist zwar verstorben, aber er heilt noch immer. Und zum Schluss: Dann gehen Sie halt an Ihre Operation, ich wünsche Ihnen alles Gute.

Noch am selbigen Abend liegt ein Bild von Bruno Gröning unter meinem Kopfkissen. Fragen Sie mich nicht, ob ich daran glaube. Ich weiss es nicht, Gröning ist ein Fremder für mich. Aber das Bild, das nicht ohne Intensität ist, bleibt unter meinem Kopfkissen bis zur Operation. Schliesslich hat es mir ein Arzt empfohlen, der kein Scharlatan ist. –

Nicht um eine Spontanheilung der Klappe zu bewirken (es wäre vermessen, das von der Psychofonie zu erwarten), aber um die nötige Gelassenheit zu induzieren, um reflexartig zu entspannen und um Schmerzen zu mildern, um nach dem schweren und unvermeidlichen polypharmazeutischen Schock der Narkose das vegetative Gleichgewicht möglichst bald wiederzufinden, mache ich mir eine neue Psychofonie. Ich fühle mich sehr gut bei der Ableitung. Das EEG gelingt wunderschön, es ist weitgehend artefaktfrei. Mein Kopf komponiert die Musiknoten nach dem Psychofonie-Verfahren. Ein erstes thalamo-kortikales Lied von 6 Minuten wird mit Klavier, Glocken- und mit reibenden Horn-Klängen arrangiert. Letztere jagen mir zuweilen einen Schauder den Rücken hinab. Im zweiten Lied, mische ich die Noten des Psychofonie-EEGs mit scharfen Gitarren auf und bette es in ein hypnotisches Meeresrauschen. Wenn jede Krankheit ein musikalisches Problem ist, wie Novalis meint, dann trifft dies auch für meine Klappe zu. Bei der Heilung kann deshalb Musik entscheidend Einfluss nehmen.[ii] In der Psychofonie wird mir das Wohlgefühl aus einem entspannten Moment vor der Operation wieder zugeführt, wenn ich operiert bin. Ich darf erwarten, dass ich mit meiner persönlich abgestimmten Psychofonie die vegetative Anpassungsfähigkeit schneller zurück erlange. Und ich darf vielleicht sogar erwarten, dass dies nicht ohne positive Rückwirkung auf das Herz bleibt, bei der Wiederherstellung der natürlichen Puls-Schwankungsbreite[iii], die vom Sympathikus und vom Nervus vagus gegenläufig beeinflusst ist und die ein Merkmal kardialer Gesundheit und Robustheit ist.
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[i] Andreas Weber: Alles fühlt. Die Revolution der Lebenswissenschaften. Berlin Verlag, 2007, 350 S.
[ii] Siehe Oliver Sacks: Der Tag, an dem mein Bein fortging. rororo Sachbuch Nr. 18884, 1998.
[iii] Joachim Bauer: Das Gedächtnis des Köpers. Piper-Verlag, 2007, 271 S.; insbesondere 9. Kapitel: Körperliche Risiken von Stress und Depression: Auswirkungen auf Herzkrankheiten, Herzinfarkt und Herztod.

1 comment:

Aurelia said...

Liebe Vati

Ehrlich gseit, find ich die Lüüt bewundernswert, wo säget, dass mer schweri Krankete mit em Glaube a sich sälber und/oder en Glaube a dä Bruno Gröning chan heile. Ich bin da anderer Meinig. Sicher chan mer viiles mitre positive Iistellig i siim Innere ändere, aber garantiert nid ä schweri Kranket wie Krebs oder en Herzfehler. Ich chan mier das eifach nid erkläre wie das gah söll. Ich meine Wie söll dä Glaube uf eimal bewürke chönne, dass diin Herzfehler nüme existiert. Oder gahts eher drum mit dem z'läbe? Aber wie söll ä Verkalkig sich sälber reduziere oder stagniere? Ich glaube, dass abme gwüsse Punkt Ziit chunnt, wo mer mit medizinische Iigriff nüme länger warte dörf. Klar hilft eim dä Glaube i dere Ziit. Aber eher zum d'Angst zneh und dass alles guet chunnt. Es gitt en Grund warum mer mit dä Medizin hüt so wiit vorahcho isch. Genau will d'Selbstheilig nid überall chan würke und mer siini Gsundheit nid sött uf Spiil setze. Wär ja super schön, wänn mer AIDS, Krebs, Herzfehler etc. chönnt selber heile oder mit dä Hilf vomene Heiler. Aber leider gseht d'Realität anderst us. Es sind äs paar wenigi wo so gheilt worde sind. Aber was isch mit em Rescht, wo immer no a dene Krankete liidet? Ich dänke Homöopathie, dä feschti Glaube, d'Psychofonie oder en Heiler isch en Ergänzig zu all dene anderne schuelmedizinische Iigriff, aber leider Gottes chan s'Erstere schweri körperlichi Sache nonig en masse heile.

Liebi Grüess und big hug

Aurelia

Ps: Han dich fescht gern...