Saturday, July 21, 2007

Big Bang


Mein Herz schlägt noch nicht im richtigen Rhythmus. Es entzieht sich der Kontrolle durch den natürlichen Schrittmacher, den Sinusknoten. Stattdessen lässt es sich von den Vorhöfen zu sehr beeindrucken, die nach der vorübergehenden Stilllegung in der Herz-Lungen-Maschine nun ihr eigenes Entladungsspiel betreiben und den Herzkammern ein gleichmässiges Pulsieren verunmöglichen. Diese Komplikation ist nach grossen Herzoperationen bekannt. Sie ist nicht lebensgefährlich, muss aber dennoch ernst genommen werden, denn das Herz kann seine volle Leistungsfähigkeit so nicht entfalten. Mindestens die Blutverdünnung muss ich mit diesem so genannten Vorhofflattern dann lebenslang beachten. Das wäre eine herbe Enttäuschung für mich, denn ich habe mich gefreut, wie früher ein Leben ohne Medikamente führen zu können. Das wurde mir vom Chirurgen für diesen biologischen Klappentyp in Aussicht gestellt.

Die Rehaklinik kümmert sich also um die so genannten Kardioversion. Zunächst gibt man mir Betablocker, zwei Wochen lang. Diese verhindern zunächst die unmotivierten raschen Kontraktionen der Herzkammern. Man hofft, dass ein regelmässiger Puls, ein Sinusrhythmus sich mit der Zeit spontan einstellt. Doch mein Herz findet pharmakologisch nicht in die Normalität zurück. Lediglich nachts, nachdem ich Stunden geschlafen habe, höre ich mein Herz im Kopfkissen schön regelmässig pumpen. Schon unter der Dusche kehren morgens die Unregelmässigkeiten zurück. Beharrlich rumpelt meine Herz im aufgeschlitzten Herzbeutel wie ein unmusikalischer Chaot, schnelle Schlagzeiten wechseln mit langsamen unruhig ab. Anfangs ängstigt mich dies, doch dann gewöhne ich mich daran und es ergeben sich daraus kaum Missempfindungen. Allein, die Pumpleistung entwickelt sich nicht in der gewünschten Stärke. Trotzdem kann ich an einem 3-stündigen Marsch ohne Beschwerden teilnehmen.

In der Rehaklinik spreche ich mit einem Leidensgenossen, dem dasselbe Problem zu schaffen machte, der die 4-wöchige Kur aber dann doch mit einem Sinusrhythmus verlassen konnte. Nicht weil sich das Herz spontan normalisiert hätte, sondern wegen einer ganz andern Erziehungsmethode für das unbotmässige Wesen: Ein Elektroschock hat sein Herz schliesslich zur Raison gebracht. Die elektrische Kardioversion ist nun also auch bei mir die Methode der Wahl, und es ist mir noch nicht klar, ob die Angst vor der zwar kurzen, aber schockierenden Kur oder die Hoffung auf Normalität überwiegt. Zweite und dritte ärztliche Meinungen, insbesondere diejenige meines Chirurgen, dem ich vertraue, geben mir schliesslich den Mut, mich in der dritten Reha-Woche dem heilenden Urknall mittels Defibrillator tapfer auszuliefern. Armes Herz, denke ich, will man dich mit 100 Wattsekunden-Schlägen zur Ordnung zwingen? Ergebe dich dieser Übermacht, denke ich, halte durch, nachher wirst du es leichter haben, wenn du den ordentlichen Tritt gefunden hast.

Zwei Ärztinnen kümmern sich um mich. Man fragt mich, ob ich nervös sei. „Ich gehe cool an die Sache ran, wenn ich mich mal dazu entschlossen habe“, erwidere ich. Die leitende Ärztin der Klinik, Kardiologin in zweiter Generation, geht bereitwillig auf meine letzten Fragen ein. Sie steht am Kopfende des Bettes und überwacht umsichtig und erfahren den Narkoseverlauf und meine Körperreaktionen auf den Schock, um im Notfall eingreifen zu können. Die zweite Kardiologin gibt mir Sauerstoff, dosiert die Narkose, leitet sie über die Infusion ein und bedient die „Shockmachine“ Marke Philips HEARTSTART MRx Monitor/Defibrillator. Bevor ich mich dieser Maschine anvertraue, habe ich alle Betriebsanleitungen und Erklärungen des Herstellers durchgelesen. Fazit: Diese Klinik benützt ein sehr modernes und gleichzeitig valides Gerät. Es werden grossflächige Klebeelektroden linksseitig unter dem Herzen und unter dem rechten Schlüsselbein angebracht. Sie geben Gewähr, dass keine Hautverbrennungen auftreten, da der Stromfluss auf die Fläche verteilt wird. Die Kurznarkose dauert 45 Minuten und wird mit dem kardiovaskulär neutralen Narkosemittel Etomidat durchgeführt, das mich unmerklich einschlafen und ohne Missempfindungen wieder erwachen lässt. Der erste Elektroschock, biphasisch mit 100 Joule Energie und 10-15 Millisekunden Dauer, wird schon nach wenigen Minuten durch Knopfdruck ausgelöst. Es fliesst, synchron zur Herzkontraktion, dabei kurzfristig 10 Ampère Strom durch den Brustkorb. Ein solcher Stromschlag wäre ohne Narkose nicht auszuhalten und hätte eine schwere Traumatisierung zur Folge. Doch in der Narkose spüre ich davon effektiv nichts!

Schon spricht die leitende Ärztin mich an: „Herr Fricker, ihr Herz schlägt im Sinusrhythmus. Wir benötigten nur einen Schock.“ Ein freudvolleres Erwachen gibt es nicht! Ich bin sofort bei Sinnen und gebe meiner Erleichterung über diesen Erfolg redseligen Ausdruck. Noch etwas liegen bleiben ist angesagt, dann kann ich auf den Bettrand sitzen und schon nach Minuten unbegleitet ins Zimmer zurückgehen. Ich fühle mir dort den Puls: Tatsächlich, so regelmässig und kraftvoll war er nach der Herz-Operation noch nie! Ich rufe meine Frau an, und sie freut sich riesig mit. Ich beschaue mich im Spiegel: Es ist nur der Rand der Elektrode als geringe Rötung der Haut noch sichtbar, die Haut darunter ist freilich tastempfindlich. Ich rufe meinen Freund an, der sich um alle meine Genesungsschritte rührend kümmert. Als erfahrener Naturwissenschafter beeindruckt ihn diese Massnahme sehr, und er ringt um eine theoretische Erklärung, warum das Herz durch den Schock von so viel Chaos in den Vorhöfen zur alten Ordnung zurückfindet.

Die Kardiologen wissen zwar, dass es funktioniert und wie man es machen muss, aber sie wissen nicht, warum es funktioniert! In der Kardiologie hat man 30 Jahre Erfahrung mit dieser Elektro-Kardioversion, wie sie verharmlosend heisst, aber man hat keine theoretische Erklärung, was dabei genau geschieht. Dies ist eine typische Situation in der Medizin, sie gleicht oft mehr einer Kunst als einer exakten Wissenschaft. Zwar warf mich dieser Schock um etwa eine Reha-Woche zurück, das Treppensteigen ist wieder mühsam. Die Vorhöfe müssen von ihrem 400/s Flattern wieder in den regulären Rhythmus von 60-70/s Kontraktionen zurückfinden und der Sinusknoten muss, durch das Vegetativum gesteuert, wieder lernen als Dirigent zu führen. Der chronisch zu tiefe Blutdruck scheint nun durchschnittlich 20 mmHg höher zu sein, die Neigung zur Schwindel wäre damit behoben.

2 comments:

Aurelia said...

Liebe Vati

Ich han grad diini neu Nachricht im Blog gläse.
Isch scho faszinierend, was du alles duremache muesch. Mier sind alli mega froh, dass diis Herzli jetzt wiider richtig lauft und du mit ganz neuem Herzrhythmusgfühl chasch a diini letschte Ufgabe in Gais anegah.
Ich freu mich riisig, dass du bald wiider dä Hei bisch und s'Mueti mit dier dä Rescht vom Summer dä Garte chan gnüsse. Däzue chunnt, dass sie kei Angscht meh um dich muen ha, da du jetzt eigentlich fascht wie neugebore bisch ;-)!
Au wänn du diis "Harem" im Spital und in Gais gnosse häsch, hoff ich doch sehr, dass du au gern wiider Hei chunsch.
Morn werdemer dich zum letschte Mal cho go bsueche. Weisch, ich bin eigentlich no froh, dass das verbii isch. Dänn äs zehrt scho chli am Körperliche immer die Reis in Agriff zneh, plus no die Ziit in Züri im Spital und dänn no Prüefigsvorbereitig. Aber "was dich nicht umbringt, macht dich stark".
Also liebe Vati, heb dier Sorg und lueg dier guet. Bald gsemmer euis wiider...
In Liebi
Diini Tochter Aurelia

wellinger said...

freued üs mit dir!!! Lässig, dass du bald hei chasch und gnüss es mit em Mueti! Chömed dänn in chilchberg mal verbii. In Liebi annie und fam.