
Schon vor 6 Jahren habe ich Tinnitus, an dem jede(r) Fünfte leidet, in dieser Kolumne behandelt. Nun hat sich in bemerkenswerten Forschungsergebnissen erhärtet, dass uns Tinnitus im Kopf (und nicht im Ohr) plagt. Zwar kann eine Innenohrschwäche den Anfang machen. Werden Tonfrequenzen kaum mehr wahrgenommen, entsteht oft ein Tinnitus an derselben Frequenz. Die beteiligten Hirnareale können mit modernsten bildgebenden Messungen identifiziert werden. Zugelassene Tinnitusmedikamente gibt es bislang nicht. Dem komplexen Leiden im elektrischen Netzwerk des Gehirns versucht man mit magnetischen Stimulatoren habhaft zu werden. TMS, transkranielle Magnetstimulation, steckt aber noch in den Anfängen. Solide Heilung erfährt man zu Hause durch regelmässiges Hören der eigenen Lieblingsmusik. Diese ist etwas verfremdet, die Tinnitusfrequenzen müssen aus dem Tonspektrum des Stücks ausgeblendet werden. Es werden die „guten“ Frequenzen aktiviert und die „bösen“ unterdrückt, herausgefiltert. Notched music heisst das in Neudeutsch. Nach sechs Monaten regelmässigen Hörens dieser individuell angepassten Musik sind die Erfolge spürbar. Dass es lange dauert, ist von Vorteil, denn die neuroplastische Umorganisation wird so nachhaltig eintrainiert. Es stellt sich eine subjektive Tinnitusminderung ein, die auch messtechnisch nachweisbar ist. Demnach kann der Tinnitus auf demselben Weg bekämpft werden, auf dem er entstanden ist. Ermöglicht wird dies durch die Plastizität der Hirnorganisation. Bemerkenswert ist nicht nur das Verfahren an sich, sondern der Paradigmenwechsel in der universitären Medizin. Nun wird die Tatsache anerkannt, dass wiederholte akustische Reize das Hirnnetzwerk nachhaltig verändern können, mit phänomenalen Heileffekten. An dieser Einsicht hat Alfred A. Tomatis zeitlebens gearbeitet - seine Ideen wurden von der Medizin abgelehnt, da sie „wissenschaftlich nicht haltbar“ seien. Heute hat sich das Blatt gewendet. Die Heilung von Tinnitus - vor 6 Jahren ein Ding der Unmöglichkeit - ist in Reichweite.
Wie Migräne ist Tinnitus in den meisten Fällen ein (harmloses) Leiden mit einer enormen psychologischen Wechselwirkung. Wie jenes ist auch Tinnitus im Zentrum (funktionell) verankert und wird oft peripher (organisch) ausgelöst. Wie jenes stehen die Belästigungen in scheinbar paradoxer Beziehung zum Allgemeinzustand (Tinnitus kommt, wenn man sich entspannt).
Oft ist bei den Tinnitusfrequenzen auch eine Hörschwäche messbar. Um dies zu verstehen, stellen Sie sich vor, was passiert, wenn altersbedingt die Hörbarkeit der hohen Töne abnimmt. Diesem ganz gewöhnlichen Alterungsvorgang versucht das Hirn entgegenzuwirken, indem es den inneren Verstärker so umprogrammiert, dass die betroffenen Töne gleich laut wahrgenommen werden. Durch die höhere Verstärkung wird aber auch das cochleare Körpergeräusch bei diesen Tonlagen vernehmbar, ganz ähnlich, wie wenn man die hohen Lagen eines Verstärkers so weit aufdreht, bis sein Grundrauschen ertönt. Gleichzeitig wird die Dynamik verkleinert, denn der Verstärker ist bei höherer Verstärkung schneller am Anschlag, wo das Signal nicht mehr lauter werden kann, sondern verzerrt. Ein störendes Grundrauschen bei gleichzeitig geringerer Dynamik in den höheren Lagen - dies ist Alterstinnitus. Schwer verständlich ist dies eigentlich nicht.
Warum geht es in der Medizin manchmal so lang, bis man die einfachen Phänomene durchschaut? Und adäquatere Behandlungsformen findet? Die "gezielte Beschallung" mit Bandstopp-Filtern, die nun als neue Erkenntnis gepriesen wird, hat Alfred A. Tomatis vor 10 und mehr Jahren publiziert, und damit seine jahrzehntelange empirische Forschungstätigkeit zusammenfasst. Er war ein selbständig denkender Aussenseiter und hat als praktizierender Arzt geforscht. Er wurde von der Medizin verlacht, nicht ernst genommen und noch heute nicht zitiert.
Die folgenden Schemata sollen nochmals veranschaulichen, wie einfach doch alles zu verstehen ist:



Quelle: http://www.wissenschaft-online.de/artikel/1056345
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